Der Wunsch nach dem Großen Blutbild
Eines vorneweg - Untersuchungen des Blutes sind wichtig und stellen ein wichtiges Instrument des Arztes zur Diagnostik und Verlaufskontrolle von Erkrankungen dar. Das ist und bleibt unbestritten.
Oft ist es jedoch in der Praxis von uns niedergelassenen Ärzten so, dass vollkommen gesunde Patienten mit dem Wunsch zu uns kommen, wir mögen ihnen doch bitte ein "großes Blutbild" abnehmen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Häufig hat der Patient im Fernsehen oder anderen Medien von einer schlimmen Krankheit gehört und interpretiert - oft mit Hilfe von Dr. Google - harmlose Symptome nun als ebendiese Erkrankung und wünscht Abklärung. Oder ein Bekannter - bislang "vollkommen gesund" - ist plötzlich schwer erkrankt und der Patient fürchtet sich vor dieser Erkrankung. Oder die Lebensumstände haben sich geändert und verunsichern den Patienten. Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, man könne im Blut alles sehen und wenn das "große Bildbild" ok ist, sei man gesund oder habe keine schwere Erkrankung. Dem ist nicht so!
Was ist das große Blutbild eigentlich?
Ein "großes Blutbild" hat nichts mit der Bestimmung möglichst vieler Blutwerte zu tun: es handelt sich hierbei um ein so genanntes Differentialblutbild, bei dem die zellulären Anteile der Leukozyten (weiße Blutkörperchen) untersucht werden. Dies ist wichtig z.B. bei bösartigen Bluterkrankungen, unklarer Blutarmut, oder bei schweren Allgemeinerkrankungen. Der Bestimmung des großen Blutbildes geht aber ein konkreter Krankheitsverdacht und die Bestimmung der anderen Blutkörperchen (kleines Blutbild) voraus.
Sinn und Unsinn
Wichtig zu wissen: im Blut kann man tatsächlich viel analysieren, aber man braucht sehr oft ein Krankheitsbild/einen Krankheitsverdacht dazu, damit die Untersuchung auch einen Sinn ergibt. Der Weg sollte also sein: der Patient hat konkrete Beschwerden, und der Arzt entscheidet anhand der Erhebung der Krankheitsgeschichte und der körperlichen Untersuchung, welche Blutwerte sinnvoll sind, um die Erkrankung des Patienten entweder zu bestätigen, sie auszuschließen oder gegebenenfalls von anderen, ähnlichen Erkrankungen abzugrenzen. Ein Screening - also eine ziellose Untersuchung von möglichst vielen Blutwerten nach dem Gießkannensystem - ist selten sinnvoll und noch weniger oft aussagekräftig.
Ein Beispiel um dies zu verdeutlichen ist die Bestimmung eines Entzündungswertes bei banalen Erkältungskrankheiten mit der Fragestellung: Bin ich schwer krank? Zum einen spiegelt die Höhe des Wertes nur bedingt die Schwere der Erkrankung, zum anderen ist der Wert meist unspezifisch, sagt er doch nur aus, dass irgendwo im Körper eine Entzündung stattfindet. Das könnte (neben der z.B. vom Patienten vermuteten schweren Lungenentzündung) auch eine Blasenentzündung, ein infizierter Zehnagel oder eine Nebenhöhlenentzündung sein. Zudem hat der Wert wenig zusätzlichen Informationsgewinn für den Arzt, der ohnehin schon weiss, dass der Patient eine Entzündung hat und daher erhöhte Entzündungswerte fast schon blind voraussagen kann.
Nota bene: was durchaus Sinn macht, sind Checkups. Das sind Untersuchungen, bei denen präventiv (also vorbeugend) bestimmte Symptome abgefragt und auch bestimmte Blutwerte bestimmt werden. Bei Checkups werden beim Patienten die prozentual häufigsten Erkrankungen der Bevölkerung überprüft und zusätzlich Erkrankungen, an denen der Patient bekannterweise leidet oder bei denen eine familiäre Häufung besteht, beobachtet. Fällt hier etwas auf, wird gegebenenfalls weiter untersucht und/oder es werden geeignete therapeutische Maßnahmen eingeleitet.
Unser Anliegen an Sie
Deshalb eine große Bitte: vertrauen Sie Ihrem Arzt und lassen Sie ihn entscheiden, welche Untersuchungen geeignet und sinnvoll sind, um eine mögliche Erkrankung schnell und zielgerichtet zu diagnostizieren. Sie können mithelfen, indem Sie Ihre Symptome genau beobachten und diese ohne Selbstinterpretation einfach schildern wie sie sind. Und - schauen Sie gerne bei Dr. Google & Co. nach, aber seien Sie sich bitte auch bewusst, dass sich die schlimmsten Diagnosen immer am besten verkaufen und daher im Browser auch ganz oben stehen.